Wochenrückblick KW 04Netzpolitik im Bundeskanzleramt

Wir waren im Bundeskanzleramt als Spezialexperten™ geladen, Schleswig-Holstein hat ein Transparenzportal und Jeff Bezos wurde vermutlich vom saudi-arabischen Kronprinzen gehackt. Die Themen der Woche im Überblick.

Endlich Wochenende! – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Abdelrahman Hassanein

Am Donnerstag waren wir als Vertreter der Zivilgesellschaft ins Bundeskanzleramt geladen, um unsere Meinung zur Datenstrategie der Bundesregierung zu äußern. Unser Redakteur Ingo Dachwitz hat stellvertretend für die Redaktion ein Plädoyer für einen Paradigmenwechsel in der Datenpolitik gehalten und sich dabei kein Blatt vor den Mund genommen: „Wer von Daten immer nur als Rohstoff spricht, sie gar als ‚Öl‘ oder ‚Gold der Zukunft‘ bezeichnet, darf sich nicht wundern, dass Unternehmen sie lieber horten als sie zu teilen und Menschen an Datenausbeutung denken, wenn die Bundeskanzlerin von Datenreichtum spricht.“

Wer im Glashaus sitzt…

Wir haben den Transparenzbericht für Dezember 2019 veröffentlicht: Dank eurer Hilfe haben wir nur knapp einen neuen Spendenrekord verfehlt! Wir konnten 166.387 Euro Einnahmen verbuchen und haben damit unser anvisiertes Spendenziel sogar übertroffen. Im Bericht ist genau aufgelistet, woher die Spenden kommen und wofür wir das Geld ausgeben.

Wir sind nicht die einzigen, die um Transparenz bemüht sind. Seit diesem Jahr veröffentlichen die Behörden in Schleswig-Holstein eine Vielzahl an Dokumenten auf ihrem Transparenzportal. Der gesamte Datensatz lässt sich nach Schlagwörtern, Zeitraum, Art des Dokuments und Herausgeber durchsuchen. Im bundesweiten Vergleich tut sich das Land damit hervor, nur Hamburg liegt im Transparenzranking der Open Knowledge Foundation weiter vorne.

(Anlasslose) Massenüberwachung

Es gibt ausnahmsweise gute Neuigkeiten von Horst Seehofer: Die geplante Ausweitung von automatisierter Gesichtserkennung an mehr als 100 Bahn- und Flughäfen ist erst mal vom Tisch. In einem früheren Entwurf über das neue Bundespolizeigesetz stand der Vorschlag noch, in einer aktuelleren Version findet er sich aber nicht mehr. Die Grünen fordern zusätzlich, den Einsatz von automatisierter Gesichtserkennung vollständig zu verbieten.

Die anlasslose Massenüberwachung von europäischen Flugreisenden kommt vor den Europäischen Gerichtshof. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hatte gegen das Fluggastdatengesetz geklagt, welches die EU-PNR-Richtlinie (Passenger Name Record) umsetzt. Die Ergebnisse der Überwachung sind häufig fehlerhaft und scheinbar so brisant, dass die EU-Kommission ihre Herausgabe mit Verweis auf ihren „heiklen Charakter“ verweigert. In anderen Staaten laufen ebenfalls Klagen gegen die Überwachungsmaßnahmen.

Die Polizei hat ihre Zahlen zur Telekommunikationsüberwachung 2018 veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass die überwiegende Mehrheit der Überwachungen aufgrund von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet wurde. Insgesamt sank die Kriminalitätsrate um 3,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

(K)eine Digitalsteuer

Ein von uns veröffentlichtes Dokument zeigt, dass Deutschland in Form von Olaf Scholz aktiv daran mitgewirkt hat, die EU-weite Digitalsteuer zu verhindern. Während Länder wie Frankreich, Italien, Spanien und Polen auf die Einführung drängten, verweigert sich Deutschland. Die Gründe dafür sind bis heute unklar.

Diese Woche wurde bekannt, dass ein Start-up aus den USA eine Gesichtserkennungs-App entwickelt und an die dortigen Polizeibehörden verkauft hat. Das Besondere: Die App kann innerhalb von Sekunden nur anhand eines Fotos die Person erkennen und anderen Bildern aus dem Netz zuordnen. In der EU gelten zwar strenge Auflagen für den Datenschutz, dennoch wäre eine solche App nach Meinung mancher Jurist:innen nicht automatisch rechtswidrig. Sie müsste sich nur an dieselben Regeln und Vorschriften halten wie jede andere Suchmaschine, berichtet Chris Köver.

Dein Freund und Helfer im Netz

Eine junge Frau wird anonym über das Internet mit dem Tode bedroht und erstattet daraufhin Anzeige bei der Polizei. Dort wird sie jedoch nicht ernst genommen. Erst nachdem sie sich öffentlich auf Twitter beschwert, gerät Bewegung in die Geschichte. Der Umgang der Polizei mit den Betroffenen von digitaler Gewalt ist ein grundlegendes Problem und dieser Fall nur ein Symptom. Viele Beamte sind nicht geschult und nehmen das Thema deswegen nicht ernst genug.

In sozialen Netzwerken ist nicht alles so, wie es auf den ersten Blick scheint. In ihrem Vortrag auf dem 36c3 haben Svea Eckert, Dennis Tatang und Philip Kreißler gezeigt, wie das Geschäft mit Likes, Kommentaren und Abos auf Facebook funktioniert und wer davon profitiert. Das Fazit: Trau keinem Like, den du nicht selbst gekauft hast!

Zwei mal Hack

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman wird verdächtig, Amazon-Chef Jeff Bezos über WhatsApp eine mit Schadsoftware präparierte Videodatei geschickt zu haben. In den darauf folgenden Stunden wurden dann große Datenmengen von Bezos‘ Handy verschickt. Ein Zusammenhang mit dem Mord am Washington-Post Journalisten Jamal Khashoggi wird vermutet.

Die brasilianische Staatsanwaltschaft wirft dem Investigativreporter Glenn Greenwald Cyberkriminalität vor. Er soll illegal Handys gehackt und dabei Chatnachrichten kopiert haben, so die Anklage. Die Erkenntnisse aus den Leaks führten zu weitreichenden Ermittlungen und deckten auf, wie Richter und Ermittler sich im Verfahren gegen den brasilianischen Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva abgesprochen hatten. Die Ankündigung der Ermittlungen löste internationale Kritik aus, Beobachter sprachen von einem Angriff auf die Pressefreiheit.

Ein neuer Podcast

Im aktuellen Podcast hat Chris Köver sich mit der Soziologin Veronika Kracher über die Community der Incels unterhalten. Unter diesem Begriff sammeln sich meist junge Männer die davon ausgehen, sie hätten ein Recht auf Sex – und hassen Frauen, weil sie ihnen diesen vorenthalten.

Wir wünschen euch ein schönes Wochenende!

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1 Ergänzungen

  1. Was die jetzt im Gesetzentwurf rausgenommene Gesichtserkennung (in der Ressortabstimmung) betrifft, hat der Sprecher des Ministeriums auf der Bundespressekonferenz klar gemacht, dass das kein Umschwenken des Horst Seehofers bedeute. Die Passage sei nur zunächst nicht mehr im Entwurf. Bitte nachhören bei Jung & naiv.

    Scheinbar ist der jetzige Zeitpunkt noch nicht „der Richtige“ aus Horsts Sicht, aber die Gesichtserkennung wird kommen, seit Euch da versichert.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.